Wer oder was verbindet Dr. Gustav Heinemann und Richard Wagner? Ich habe ehrlichgesagt keine Ahnung, dafür aber eine interessante Postkarte, auf der der Schreiber von Kontakt zu beiden berichtet. Nur vom Autor selbst, Karl Thoma, konnte ich kaum Informationen erfahren. Leider handelt es sich nicht um den Stammvater jener berühmten Künstlerfamilie Thoma, sondern um einen Münchner Bürger. Karl Thoma, geboren am 16.11.1898, sendet vom Annaplatz 7 im Lehel einen postalischen Gruß an seine Frau Hilde(gard), die sich gemeinsam mit einer Ingeborg auf einer Urlaubsreise durch Österreich befindet.
Auffällig ist, dass sich an der genannten Absenderadresse eigentlich nur die Bayerische Landesbrandversicherungs-Anstalt befand. Arbeitete Thoma dort? Außer den Informationen auf der Karte konnte ich nur in Erfahrung bringen, dass das Ehepaar heute auf dem Münchner Waldfriedhof in Großhadern begraben liegt. Der erste Teil der Postkarte ist relativ unspektakulär und berichtet vom Postverkehr Reisender und dem Ärger mit der Post – alles wie heute auch! Der damalige Einbruch von 50cm Neuschnee erinnert mich allerdings an den Münchner Winter 2023/2024.


Wir erfahren außerdem, dass sich ein Bekannter des Paares – Helmut – zur Zeit auf einer Dienstreise in Frankfurt am Main befindet, aber am Osterfest 1958 seine kirchliche Hochzeit in München feiern würde und dazu die gesamte Familie Thoma in die „Torgelstube“ eingeladen hat. Dieses Weinrestaurant befand sich am Platzl 8 im Corpshaus der Verbindung „Rheno Palatia“, direkt neben dem Hofbräuhaus. Heute beheimatet das Gebäude Alfons Schubecks „Südtiroler Stuben„. Das Interieur der Stube, das auf alten Ansichten zu sehen ist, lässt vermuten, dass es sich bereits damals um ein angesagtes Etablissement gehandelt hat.
Der zweite Teil der Nachricht besteht aus dem sehr interessanten Wochenplan Karls. Was meint er jedoch mit: „Freitag abend trifft uns Nachtasyl“? Die Spielzeit 1957/1958 des Münchner Residenztheaters brachte Maxim Gorkis Drama „Nachtasyl – Szenen aus der Tiefe“. Entweder besuchte Thoma am 14.02.1958 diese Vorstellung oder er meinte ein Treffen mit Werner Düggelin, der sich für die Inszenierung des Stückes verantwortlich zeigte. Oder war etwas ganz anderes gemeint?
Karl führt sein wöchentliches Programm weiter aus: „Am Mittwoch abend ist bei Lindberg Richard-Wagner-Abend.“ Ich könnte mir vorstellen, dass mit Lindberg nicht einfach nur ein Kollege oder Freund Karl Thomas gemeint war.
Vielmehr wird die Ernst Lindberg GmbH gemeint gewesen sein. Das 1924 von Konsul Lindberg in der Sonnenstraße gegründete Unternehmen verkaufte Musikinstrumente, Noten, Schallplatten und Unterhaltungselektronik. In den 1950er Jahren, so heißt es in der Firmengeschichte, wurden viele Schallplatten – „unter Anwesenheit der entsprechenden Künstler – im Hause präsentiert.“ Dass nun Richard Wagner am Mittwoch den 12.02.1958 in München als Stargast seines neuen Platten-Releases anwesend gewesen ist, halte ich für unwahrscheinlich; immerhin war es die Nacht zu seinem 75. Todestage. Vermutlich gab es aber eine Vorführung von Wagner-Schallplatten in den Geschäftsräumen von Lindberg, der Thoma beiwohnen wollte.
Und dann wird es fast staatstragend: „Heute Montag abend bin ich bei Dr. Heinemann, wegen dem es neulich im Bundestag so eine Sensation gab, in der TH.“ Vermutlich hielt der frisch gebackene SPD-Politiker an der Technischen Hochschule einen Vortrag, immerhin war München einer seiner Studienorte. In einer legendären Bundestagsrede kurz zuvor am 23. Januar 1958 vollzog Heinemann eine Generalabrechnung mit der aus seiner Sicht völlig gescheiterten Deutschlandpolitik des Kanzlers Konrad Adenauers. Sowohl die Presse als auch Thoma waren sehr interessiert an dem Thema.




