22. September 1950 – Seltsame Zeichen und Leute auf der Wiesn

Habt ihr heuer auf der Wiesn zufällig seltsame Glyphen an den Fahrgeschäften aufgefallen? Oder habt ihr einige Besucher mit unterschiedlichen Schnürsenkeln gesehen oder mit einem Federbusch am Trachtenhosentragerl? Ja? Nun, ich schätze, dass dies heute keine modischen Besonderheiten oder gar Aufreger mehr sind, schließlich kommt mittlerweile die ganze Welt in den unterschiedlichsten „Kostümen“ aufs Oktoberfest.

Auf den Wiesn im Jahre 1950 hättet ihr unter bestimmten Umständen jedoch bis zu 30,- DM gewinnen können – das entspricht heute ungefähr einer Kaufkraft von gut 100€ – wenn euch ein solcher Herr aufgefallen wäre. Wieso? Weil dort eine groß angelegte Schnitzeljagd stattfand, ein Jungscharspiel – aber nur für Eingeweihte.

Anstatt also wie sonst Hintergründe, Prominente und Fakten zu einem Schriftstück zu liefern, lasse ich heute einfach einen Brief selbst sprechen; eine Anleitung zum Jungscharspiel für einen der Häuptlinge um seinen Buben zum Sieg zu verhelfen:

München 22.9.50. Diözesanjungscharführung. München 2, Löwengrube 19.

Meine lieben Jungscharhäuptlinge von München! Entschuldigt wenn dieser Brief, der euch die letzten Hinweise zu dem grossen Jungscharspiel auf der Oktoberwiesegeben soll, Euch erst so spät erreicht. Ihr müsst wissen, dass sich seit unserer Rückkehr aus Rom die Arbeit so sehr häuft, dass wir auf keinen Grund mehr kommen. Zuerst lasst euch mal in vorhinein schimpfen wenn es wieder so wenig werden sollten wie bei der Lichtstaffel in Maria Eich. Dass es an euch liegt die Buben zu begeistern ist euch hoffentlich klar. Dass Buben sich auch heute noch begeistern lassen ist erwiesen, sodass also ein Versagender Münchner Jungschar ein Versagen ihrer Führer ist. Wollen wir’s genug sein lassen mit Kritik, die als aufbauende Anregung von mir gemeint ist. Zur Sache: Um der Jungschar wieder einmal das Erlebnis der Bubengemeinschaft einer Stadt zu vermitteln dachten wir schon lange an ein Stadtspiel. Nun ist es soweit. Das Oktoberfest wird zu unseren Jagdgründen erhoben. Zu gewinnen sind für die Gruppenkasse 30 oder 10 oder 5 DM. Am kommenden Mittwoch werden in der Zeit von 14–16 Uhr auf der Wiese 4 Männer herumlaufen, die aufgespürt werden müssen. Sie haben alle ein Erkennungszeichen gestaffelt nach dem Wert den sie zu vergeben haben. Die 2 Einfachen tragen am Rockaufschlag die päpstlichen Farben als Steck-nadeln. Ihre Hinweise führen zu den 5 DM Preisen. Der Nächste hat ein Federl an seinem Trachtenhosenträger, sein Hinweiszielt auf die 10 DM und der Schwierigste hat in seinen Schuhen ein braunes und ein schwarzes, also zweierlei, Schuhbänder, seine Spur bringt euch die 30 DM für die Gruppenkasse. Diese 4 Leute dürfen von einem Gruppenführer oder einem Stellvertreter, wenn er selbst in der Arbeit ist am Nachmittag, aufgefordert werden Auskunft zugeben, [!]wenn dieser Gruppenführer mindestens 7 Buben seiner Gruppe um sich hat und wenn sein persönlicher Ausweis der Kath. Jugend ordnungsgemäss geführt ist, d.h. wenn die Marken bis einschliesslich Sept. 50 eingeklebt sind. So ausgerüstet darf er den erspürten Mann um Auskunft bitten. Dieser wird ihm dann sagen wo der nächste Hinweis zu finden ist. Dies wird ihm dann ein Stück weiterhelfen, so wird er sich dann von Hinweis zu Hinweis handelnd aus der Wiese hinausbewegendem Platz zu, an dem der Geldschatz verborgen liegt. Die Hinweise gestalten sich je nach dem Wert des Schatzes inschriftlichen Hinweisen, Skizzen und Pfadfinderzeichen. Es ist natürlich klar, dass die Hinweise dem Wert des Schatzes entsprechend gestaffelt sind und dass wir euch nicht alles in die Zähne streichen werden, sondern dass ihr und eure Buben sich schon anstrengen müssen. Wir werden die Buben, die keinen der 4 gefunden haben vor der Normaluhr beim Haupteingang um 16:15 Uhr sammeln und zu den anderen bringen um den Sieger zu ehren und den Tag gemeinsam zu beschliessen. Ich bitte euch nocheinmal [!] setzt ihr euch dafür ein, denn die Buben werden von euch die Begeisterung übernehmen. Seht euch auf einem Stadtplan die Umgebung der Theresienwiese an und prägt euch die umstehenden Pfadfinderzeichen gut ein.

So, das wären die Zeichen, die müsst ihr unbedingt kennen. […] Ich darf euch am Schluss nochmal in zündenden Worten zu grossen Taten begeistern. Setzt euch ein für dieses Spiel. Unsere Münchner Jungschar muss sich mal als Bubengemeinschaft der Stadt fühlen und erleben lernen. Was wären doch unsere gesamten Buben z.B. in der Münchner Schuljugend für ein Blo[c]k. Wichtigst wäre natürlich in dieser Hinsicht eine Stadtjungscharführung. Was haltet ihr davon. Was könnten wir doch alles in diesem Winter anfangen, wären wir wirklich lebendiger Haufe[n], angefangen von einer Faschingsgaudi oder einem Faschingszug. Ich glaube es wäre wirklich notwendig, dass am kommenden Mittwochnachmittag die Wiese bei jedem Wetter vom Bild der Jungschar beherrscht wird. Es ist dies ein psychologisches Moment, dass den Buben Selbstvertrauen in ihre Bubengemeinschaft geben wird. Genug der Reden, „auf geht’s beim Schichtl“ Euer Schnick

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