13. November 1901 – Die Schlaraffia – Eine vergessene Geheimgesellschaft in München

Vor einiger Zeit konnte ich einen schriftlichen Nachlass aus der Familie Philipp Faulhaber erwerben, ein prominenter Name in München. Zu dem bekannten Kardinal Michael von Faulhaber hatte dieser Apotheker nach ersten Recherchen aber keine Verbindung. Neben privaten Zuschriften und der Firmenkorrespondenz hat besonders die folgende Postkarte meine Aufmerksamkeit erregt.

Die Karte wurde vom Pasinger Carl Hromadnik abgesandt. Er war Besitzer einer Papierfabrik, Kommerzienrat und machte sich um die Pasinger Feuerwehr verdient. Im November 1901 schrieb er an Philipp Faulhaber:

In arte voluptas. Pasingia den 13. des Windmonats a[nno] U[hui] 42
Schlaraffen hört! Samstag den 16. huius „Funkefeier“ in unserer Wartburg. Geeignete Vorträge erbeten: vollzähliger Eintritt Ehrensache.
Mit frohmüthigen Lulu, Das Kantzlerambt: Papyrus.

Was habe ich da grade gelesen??? Aus welchem Jahrhundert oder welchem Universum stammt diese Postkarte? Wieso unterzeichnete Hromadnik mit dem Pseudonym Kanzler Papyrus? Und was ist das für eine Datumsangabe? Es handelt sich offensichtlich um eine Geheimgesellschaft – die aber gar nicht so geheim ist. Über den Suchbegriff „Schlaraffen“ gelangte ich schnell zum Ursprung des Mysteriums und zu einer mir bisher unbekannten weltweiten Vereinigung.

Kein Scherz, das Schreiben gehört in der Tat zu einem anderen Universum, dem sogenannten Uhuversum, welches die Schlaraffia umgibt. Die Schlaraffia ist eine, am 10.Oktober 1859 in Prag gegründete, weltweite, deutschsprachige Männervereinigung zur Pflege von Freundschaft, Toleranz, Kunst und Humor.

Verschiedene Ansichten Franz Thomés.
Schauspieler, Regisseur und Theaterdirektor.
Geb. Wien, 21. 11. 1807
Gest. Prag, 22. 5. 1872
Aufnahme kurz vor der Gründung von 1857.

Die Schlaraffen pflegen eine eigene Sprache mit altertümlichem, am Rittertum orientierten Vokabular (Schlaraffenlatein). Der Gründungsmythos erzählt, dass der Prager Theaterdirektor Franz Thomé empört darüber war, dass der Bildungsverein „Arcadia“ einen seiner Künstler nicht aufnehmen wollte.  Aus Protest verließ er besagte Gesellschaft und gründete einen Proletarier-Stammtisch der später in die  Schlaraffia mündete.

Wer sich jetzt fragt, ob das Ganze etwas mit dem Schlaraffenland zu tun hat: Ja! Das Wort Schlaraffe soll vom mittelhochdeutschen Wort slur affe abgeleitet sein, was damals so viel wie „üppig lebender Müssiggänger“ bedeutete und etymologische Wurzel des gleichnamigen Märchens ist. Auch der Leitspruch In arte voluptas (In der Kunst liegt Vergnügen) zielt auf die Werte der Vereinigung ab.

Die „Burg“ der Münchner Schlaraffia-Monachia.

Die meisten Ryche (Ortsgruppen) agieren zurückgezogen und unter Ausschluss der Öffentlichkeit, wenngleich sie Interessierten offenstehen. Auch in München gibt es bis heute das Rych Schlaraffia-Monachia, deren Burg (Vereinsheim) Montsalvatsch sich in der Barer Straße 48 befindet.

Kupfermedaille der Schlaraffia Frankfurt mit Wahlspruch.

Über Allem wacht der große Uhu, Symbol für Weisheit, Humor und Tugend. Unter seinen Augen streifen die Sassen (Mitglieder) ihre profanen Schlacken ab und finden ritterliche Spiele und Zeremonien statt. Die Schlussformel der Postkarte „mit frohmüthigen Lulu“ beinhaltet ein lautmalerisches Kunstwort, das bei Sippungen (Treffen) auch als Zuruf der Zustimmung verwendet wird. Alternativ kann die Wortumkehr Ulul als Ablehnung und Tadel gebraucht werden.

Die Spiele und Aktionen während der Sippungen bestehen aus Rezitieren, Musizieren, Dichten, Komponieren, Singen, Malen, Zaubern oder anderen Künsten. Politik, Profession, Religion sowie Erotik und Zoten sind unerwünschte Themen und werden zum Wohle der freundschaftlichen Atmosphäre vermieden.

In der Abendschau des BR gab es 2020 einen kurzen Beitrag zur Schlaraffia-Monachia.

Trotz der ursprünglich progressiven und idealen Freundschaftswerte der Schlaraffia, möchte ich noch ein paar kritische Aspekte beleuchten. Wie alle historischen Traditionsvereine steht auch die Schlaraffia vor dem Spagat, moderne gesellschaftliche Entwicklungen zu Berücksichtigen und traditionelle Elemente zu bewahren. Einblicke in die exklusiv männlichen Vereine zeigen dem externen Betrachter einen wenig diversen Zusammenschluss von hochbetagten Verfechtern alter Werte. Das muss nicht grundsätzlich schlecht sein, zumal die vielen Ortsvereine sehr unterschiedlich liberal oder konservativ ausgerichtet zu sein scheinen. Die proklamierte „Toleranz“ der Schlaraffia zeugt allerdings noch von einem sehr binären, misogynen Frauenbild. In einer Infobroschüre des offiziellen Weltverbandes Allschlaraffia von 2012 heißt es beispielsweise:

Schlaraffia ist eine Gemeinschaft von Männern. Dass Frauen nicht Mitglied werden können, hängt mit den beiden grundlegenden Spielelementen ,Rittertum‘ und ,Hochhalten der Freundschaft‘ zusammen. Der dabei gepflegte typisch männliche Humor käme bei den Frau en nicht an. Um zwei hinkende Vergleiche zu bemühen: In einer Männer-Eishockeymannschaft spielen keine Frauen mit, und bei einem ,Kaffeekränzchen‘ würden Männer gewaltig stören! Auch wenn Frauen nicht Mitglieder in Schlaraffia sind, können sie dennoch einen wichtigen Beitrag zum schlaraffischen Leben erbringen. Wer wollte nicht ein Loblied auf die „liebreizende Burgfrau“ singen, die sich daran erfreut, mit welcher Freude und Gelassenheit sich ihr Burgherr dem Spiel hingibt, die ihm beim „Fechsen“ hilfreich zur Seite steht, mit ihm zum Beispiel Lieder und Texte einstudiert. So kann Schlaraffia auch eine Belebung der partnerschaftlichen Gemeinschaft darstellen. Viele Frauen profitieren bereits davon, wenn ihr Lebenspartner durch die Schlaraffia mehr Lebensfreude gewinnt, entspannt und fröhlich von den Sippungen heim kommt und ihr begeistert davon berichtet.

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