Meistens berichte ich von Münchner Geschichten aus meiner Sammlung, die mehr oder weniger bekannte Persönlichkeiten mit der bayerischen Landeshauptstadt verknüpfen. Passend zu den sommerlichen Temperaturen möchte ich dieses Mal aber etwas weniger bekannte Wissenschaftler vorstellen, die sich mit Schmetterlingen beschäftigen.


Am 13. Oktober 1879 schrieb ein Herr O. Kolb eine Postkarte von Kempten an einen Herrn Hartmann in München, ob er ihm im Winter desselben Jahres ein paar Schmetterlinge zur Bestimmung geben dürfe. Außerdem fragt er noch, wo und wann die nächste Versammlung des Entomologischen [Insektenkunde] Vereins stattfinden würde. In einem Nachsatz berichtet Kolb noch stolz, dass er im Laufe des Jahres bereits viele schöne Insekten eingefangen hätte.
Wow! Es gab 1879 in Bayern bereits einen organisierten Insektensammlerverein!? Dem wollte ich auf den Grund gehen… Laut den Mittheilungen des Münchner Entomologischen Vereins bestand der Zusammenschluss mindestens von 1877 bis 1890. Im Mitgliederverzeichnis von 1879 ist August Hartmann als pensionierter Kassir in der Augustenstraße in München genannt. Sein Schwerpunkt wird mit Lepidopt angegeben [Lepidopterologie = die wissenschaftliche Lehre von Schmetterlingen]. Auch sein Korrespondenzpartner Oscar Kolb, ein Apotheker aus Kepten mit gleichem Sammelgebiet, ist Vereinsmitglied.

Kurze Zeit später erhielt Hartmann eine weitere Nachricht, dieses Mal von einem Dr. Fenk aus Bamberg, der beklagt, dass in Hartmanns Artenverzeichnis Die Kleinschmetterlinge des europäischen Faunengebietes, einige wichtige Arten fehlen würden und bittet ihn um Zusendung verschiedener anderer Falter. Besonders scheint Dr. Fenk die Art „Bjerkandr“ zu interessieren, mit der vermutlich Tebenna Bjerkandrella gemeint war. Diese Schmetterlingsart wurde 1784 erstmals durch den schwedischen Naturforscher Carl Peter Thunberg beschrieben.

Besonders interessant finde ich die schriftliche Bitte um „Fanggläschen“ in Verbindung mit einer kleinen Zeichnung. Rechts unten auf der Karte ist mit einem 3,9cm langen Mess-Strich die Höhe und mit einem 1,9cm breiten Kreis der Durchmesser eines Röhrchens angegeben, das der Absender für die Aufbewahrung seiner unterwegs gesammelten Falter benötigte.

August Hartmann war zu dieser Zeit übrigens in seinem 75. Lebensjahre und schwer krank; nur wenige Monate später nach der Novemberkarte verstarb er am 27. Mai 1880 in München. Im Folgenden ein kurzer Auszug aus seinem Nekrolog, der in verschiedenen Fachzeitschriften erschien:
„Das Hauptgebiet seiner Forschungen war besonders die Umgebung Münchens, dann die von Aschau in der Nähe des Chiemsees im bayr. Gebirge, wo er früher schon in seinen Urlaub und seit seiner im Jahre 1864 erlangten Quiescierung [Ruhestand] einen grossen Theil des Sommers […] zuzubringen pflegte. [… Seine letzte Publikation] enthält über 3000 Arten […], im 2. Hefte des dritten Jahrganges der Mittheilungen des Münchner Entomologischen Vereins (1879) begonnen und im ersten Hefte des folgenden Jahrgangs (1880) vollendet, während der Verfasser bereits schwer erkrankt zu Bette lag.“
Aha! Trotz Krankheit hatte Hartmann also noch die Hinweise des Bamberger Kollegen berücksichtigt und seine Publikation dahingehend erweitert. Denn das 3212 Arten listende Verzeichnis führt unter Nr. 1302 eine Berkandrella.
Was aus dem alten Sammlerverein geworden ist, konnte ich nicht in Erfahrung bringen. 1904 wurde allerdings in München ein neuer Entomologischer Verein (MEG) gegründet, der bis heute Bestand hat.

