05.03.1946 – Jüdisches Leben in München (I)

In den Korrespondenzen und postalischen Belegen aus München treffe ich immer wieder auf jüdische Familien und Firmen. Zum Auftakt der Reihe habe ich einen unscheinbaren Beleg, an dem sich Kunstgeschichte, Kunsthandel, Nationalsozialismus und Philatelie untersuchen lassen.

Wohn- und Geschäftshaus der Galerie Heinemann mit Wittelsbacherbrunnen am Maximiliansplatz 3/4, später Lenbachplatz 5/6. Foto um 1910. Quelle: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek, ZI-0945-08-00-125312

Für 50 Cent habe ich ein sauber frankiertes und gestempeltes Kuvert aus dem Jahre 1946 erstanden, adressiert an eine Galerie am Lenbachplatz 5 in München. Moment mal, die Adresse kenne ich doch, das war doch die ehemalige Kunstgalerie Heinemann aus jüdischem Besitz. Zeit sich noch einmal die gut belegte Firmengeschichte zur Zeit des Nationalsozialismus in Erinnerung zu rufen.

Fritz David Heinemann, geb. 02.06.1905 in München, gest. 1983 in Pöcking

1938 stand die Galerie Heinemann unter der Führung des Kunsthistorikers Fritz David Heinemann. Der (Kunst-)Historiker und Archäologe hatte den Betrieb 1929 von seinem Vater übernommen und leitete die Galerie gemeinsam mit seiner Mutter und seiner Frau Sibylle Bianka Weiler. Durch die „Arisierung“ des gesamten Münchner Kunsthandels 1938 musste Heinemann aus dem familieneigenen Betrieb austreten, 1939 übernahm der langjährige Mitarbeiter Friedrich Heinrich Zinckgraf die Galerie.

Glücklicherweise besaß das Unternehmen Dependancen in Zürich und New York, und so flohen Fritz und seine Frau in die Schweiz, seine Mutter und sein Bruder in die USA. 1946 kehrte Fritz – mittlerweile verwitwet – nach München zurück. Die Geschäftsunterlagen der Firma erhielt er vermutlich erst nach dem Tod von Zinckgraf 1954 zurück.“1972 übergab er den kompletten Nachlass der Galerie Heinemann an das Deutsche Kunstarchiv im Germanischen Nationalmuseum, das in Zusammenarbeit mit dem Zentralinstitut für Kunstgeschichte die Online-Datenbank Galerie Heinemann Online erstellt hat.“1

Briefkopf von Friedrich Heinrich Zinckgraf aus dem Jahre 1943. Quelle: Deutschen Kunstarchiv im Germanischen Nationalmuseum, Nürnberg

Friedrich Zinckgraf übernahm nach etwa einem Jahr kommissarischer Führung und verschiedenen Verhandlungen die Gesellschaftsanteile von Fritz Heinemann und dessen Mutter Franziska. Diese musste aus der Zwangshaft heraus dem Verkauf zustimmen. Sowohl der Preis für das Galeriehaus als auch für die im Lager befindliche Kunsthandelsware lag mit insgesamt 420.000 Reichsmark erheblich unter dem Marktwert. Für diesen Kauf erhielt Zinckgraf außerdem einen Kredit über 275.000 RM von seinem Freund und Hitlers Starbankier Hjalmar Schacht. „Zinckgraf benannte die Galerie Heinemann im Mai 1941 in Galerie Zinckgraf um und führte sie auch nach dem Krieg unverändert am Lenbachplatz weiter.“2

Leider ist mein Kuvert ohne Inhalt, es hätte mich natürlich schon interessiert, was Herr Dr. Dr. Riffart, seines Zeichens Ingenieur und Jurist, so kurz nach dem Krieg „Geschäftlich“ in der Galerie kaufen wollte. Oder gab es eine andere Verbindung zwischen den Korrespondenzpartnern?

Eingangs betonte ich, dass das Kuvert sauber frankiert und gestempelt wurde, was für Post in den Besatzungszonen unter den Alliierten nicht unbedingt selbstverständlich war. Friedrich Heinrich Zinckgraf war nämlich auch bekannt als passionierter Philatelist. Als solcher achteten seine Korrespondenzpartner darauf, dass er attraktive Frankaturen erhielt, in diesem Falle ein senkrechtes Paar der Mi.-Nr. 5, Amerikanische Besatzungszone zu 8 Pfennig (also insgesamt 16 Pfennig für einen Ortsbrief der zweiten Gewichtsstufe).

Mit seinem im Kunsthandel erwirtschafteten Kapital konnte Zinckgraf also auch sein Hobby finanzieren und als Förderer in Erscheinung treten – ganz gleich unter welchen Umständen er zu Reichtum gekommen war. Als 1956 in Großhadern eine Straße nach ihm benannt wurde, hieß es in der Begründung:

„Zinckgraf war Vorstand des Münchener Altertumsvereins und am Aufbau des Landesverbandes bayer. Philatelistenvereine meßgebend beteiligt. Er legte durch eine größere Literaturspende den Grund zur philat. Abteilung der Münchener Stadtbibliothek. Zinckgraf war Inhaber des Verdienstkreuzes der Bundesrepublik. In der Jugend-Philatelie wird alle 2 Jahre eine Zinckgraf-Medaille verliehen.“3

Die Zinckgraf-Medaille 1953 für besondere Jugendleistungen auf dem Gebiet der Philatelie.

Na gut, dass der Preis nicht mehr vergeben wird, den können Sie sich an den Hut stecken! Wie so viele einflussreiche Männer des ehemaligen NS-Regimes konnte also auch Zinckgraf unbehelligt in der neu gegründeten BRD seinen Beschäftigungen nachgehen. Mehr noch: er wurde hofiert, geehrt und ausgezeichnet. Ich plädiere an dieser Stelle für eine kritischere Auseinandersetzung mit der Personalie Zinckgraf – insbesondere im Kreise der Philatelisten – und die Umbenennung der Straße.

  1. Haus der Bayerischen Geschichte Online: Fritz David Heinemann. ↩︎
  2. Geschichte der Galerie Heinemann Online: Unter der Leitung von Zinckgraf. ↩︎
  3. Stadtgeschichte München Online: Straßenbenennung ↩︎

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